PFORTEN ZUR HÖLLE

Artikel veröffentlicht: 24.07.2012, 11:20 Uhr

Wir danken Prof. Michael Stürmer für die Erlaubnis, den folgenden Beitrag zu übernehmen.
-kr-

DIE WELT - online

http://www.welt.de/debatte/kommentare/article108365782/In-Syrien-oeffnen-sich-die-Pforten-zur-Hoelle.html

Meinung
23. Juli 2012

 

In Syrien öffnen sich die Pforten zur Hölle

Assads System erodiert zweifelsohne. Doch was danach kommt, könnte noch blutiger werden. Syrien liegt zu zentral und ist zu wichtig, um es sich selbst zu überlassen.

Aber wem wird Syrien gehören?

Von Michael Stürmer

In Syrien öffnen sich die Pforten zur Hölle, und es wird schwer sein, sie wieder zu schließen. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ist durch Russland und China gelähmt, die dem Westen den Fall Libyen nicht vergessen haben. In den USA wie in Europa gibt es nach dem Libyen-Einsatz des vergangenen Sommers keine Neigung, es gegen die militärisch noch durchaus respektable syrische Armee mit einer No-Fly-Zone zu versuchen oder gar zu einem Landeinsatz mit dem Ziel Regimewechsel und Sicherung der Massenvernichtungswaffen.
Die Arabische Liga, sonst nicht bekannt für markante Äußerungen, noch weniger für Liebe zur Demokratie, wirbt noch einmal für Verhandlungen, einen geregelten Übergang und Asyl für Assad: Es ist indes nicht zu erwarten, dass die Tatsachen auf dem Boden sich verändern. Zu viel Hass hat sich aufgeladen, zu viel Blut ist geflossen, zu lange hat die Unterdrückung gedauert – und zu akut ist das Interesse der Nachbarn nah und fern, nicht durch Passivität Verlierer des syrischen Blutvergießens zu werden.
Straßenproteste und Bürgerkrieg
Der Kampf um die Erbschaft der Diktatur hat längst begonnen. Er befeuert nicht nur die wilden Gestalten der Rebellion, sondern bestimmt auch alle Nachbarn, ihre Interessen zu schützen, notfalls durch bewaffneten Einsatz.
Die Folgen sind bisher nur in Umrissen zu erkennen, in ihren weiteren Auswirkungen auf die Region, Europa und den Rest der Welt kaum abzuschätzen. Dies ist nicht mehr ein Straßenprotest, sondern längst ein Aufstand in Gestalt eines Flächenbrandes, dazu ein religiös-sozialer Bürgerkrieg, namentlich Sunniten gegen die den Schiiten des benachbarten Iran glaubensverwandten Alawiten.
Seit dem Putsch von Assad senior 1970 besetzen sie die Kommandohöhen des Staates, der Armee und der Dienste, dazu auch der Wirtschaft. Im Westen hat man sich 1981 nicht sehr bekümmert, als der ältere Assad die Muslimbrüder in Hamas massakrieren ließ, mit geschätzten 20.000 Toten.
Unter den Überlebenden aber ist das Blutbad unvergessen und schreit nach neuem Blut. In dieser Lage sind staatliche Grenzen kaum mehr als punktierte Linien auf ausgemusterten Landkarten.
Das iranische Regime wird schwerlich mit verschränkten Armen zuschauen, wie der wichtigste Verbündete zerfällt, das einzige Land der arabischen Welt, das mit den Iranern aktiv kooperiert, von Waffen und Ausbildung bis zu Wirtschaft und Energie, vor allem aber im Kampf gegen den Staat Israel wie auch gegen die überwiegend sunnitischen Staaten, am meisten Saudi-Arabien, Jordanien und Ägypten.

Kein militärischer Spaziergang
Die Israelis, in enger Abstimmung mit den Amerikanern, haben sich geschworen zu verhindern, dass die Unmengen an biologischen und chemischen Massenvernichtungswaffen zusammen mit ihren Trägern den Partisanen der islamistischen Revolution in die Hände fallen. Die Hisbollah und die Hamas würden schwerlich zögern, sie bei passender Windrichtung einzusetzen. Beifall und Unterstützung aus dem Iran, wo es an blutrünstigen Verfluchungen der Israelis und ihres Staates niemals fehlt, sind ihnen sicher.
Israels Verteidigungsminister Ehud Barak, vordem Stabschef der Armee, erklärt öffentlich – und das ist nicht allein zur Abschreckung gedacht, die ohnehin gegen die tief eingegrabenen und mit der Zivilbevölkerung verschmelzenden Kampfverbände wenig nützt –, die israelischen Streitkräfte müssten fähig und bereit sein zum präventiven Eingriff: Man hat sich das nach heutigem Erkenntnisstand wohl als muskulöse Kommandoaktion vorzustellen, allerdings alles andere als ein militärischer Spaziergang.
Truppen in Alarmbereitschaft
Das wäre aber immer noch die mildere Version, solange die Massenvernichtungswaffen noch im Gewahrsam der Assad-Kerntruppen sind, ebenso die Arsenale an Mittelstreckenraketen, Luftabwehr und Land-See-Missiles, welche die israelische Gas-Exploration östlich Zyperns bedrohen. Assad könnte auch versucht sein, so vermuten westliche Dienste, die Hisbollah loszulassen und die Araber im Krieg gegen Israel zu vereinen. Das wiederum würde vorgreifende Abwehr erzwingen.
Israel will sich heraushalten aus dem Chaos im Norden, hat aber Truppen in Alarmzustand versetzt, um auf jede Teufelei vorbereitet zu sein. Beunruhigend ist, dass die seit vier Jahrzehnten stabile Grenze auf dem Hochplateau des Golan, keine 70 Kilometer von Damaskus entfernt, in Bewegung gerät. Die braven UN-Verbände zeigen symbolische Präsenz, aber Frieden zu erzwingen ist ihnen nicht gegeben.
Machtkampf in Damaskus
Unterdessen eskaliert der Kampf um die Macht in Damaskus. Dass der Präsident Quartiere der Hauptstadt, vornehmlich arme Stadtviertel, aus der Luft und durch Artillerie bombardieren lässt, verrät mehr Schwäche als Stärke. Es geht längst nicht mehr um die Frage, ob die bunt gemischten Truppen der Freien Syrischen Armee die Oberhand gewinnen, darunter offenkundig iranische Berater und Kämpfer der Hisbollah – Partei Allahs – aus dem südlichen Libanon.
Es ist angesichts der Lage in den wichtigsten Städten offenkundig nur noch eine Frage der Zeit, wann das Regime zusammenbricht und die Alawiten ums nackte Überleben kämpfen in einer Schlacht ohne Pardon – und wer sich der Trümmer bemächtigt. Das Endspiel ist im Gang, seitdem Spitzen des Regimes vor einer Woche in einem Gebäude der Geheimdienste in Zentral-Damaskus einem Attentat erlagen, darunter der gefürchtete Assef Shawkat.
Interesse des Westens
Der war nicht allein Schwager des Präsidenten, sondern auch der starke Mann, der den Einsatz der Geheimdienste koordinierte. Noch hält die Armee einigermaßen zusammen, nicht nur aus religiös-sozialen Instinkten der Alawiten, sondern schon aus Angst vor der Rache der Unterdrückten. Ein Zurück zum Annan-Plan ist so wenig möglich wie ein Runder Tisch nationaler Versöhnung. Syrien wird zum Blutsumpf.
Wenn aber die Erosion des Regimes so weitergeht wie in den letzten Tagen, Assad flüchtet oder im Kampf untergeht, ist der syrische Konflikt noch lange nicht zu Ende. Dann steht ein doppelter Eskalationssprung bevor. Dann geht es um die Macht im Innern und um die Frage, wem Syrien gehört.
Das Land ist zu wichtig, zu zentral und zu umstritten, um es sich selbst zu überlassen. Das größte Interesse des Westens, auch der Türkei und Saudi-Arabiens, muss in einem geregelten Übergang wie auch daran liegen, die Fanatiker des Iran und ihre Helfer herauszuhalten.
 


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